Ich bin Frau Katja Glatzer und der Mainpost sehr dankbar über diesen Artikel, denn ich finde ihn sehr wertvoll. Vielen Dank an die Sternenkindmama für ihr Vertrauen und ihre Zeit für das Interview. Sowie vielen Dank an alle, die diesen Beitrag verbreiten (gerne den Originalbeitrag von der Mainpost).
Den Moment, in dem sie erfuhr, dass etwas nicht stimmte, wird Bettina P. nie vergessen. Es war bei einer Ultraschalluntersuchung in der zwölften Woche. Sie war mit Zwillingen schwanger, nach ihrem heute neunjährigen Sohn die absoluten Wunschkinder. Schon der Blick des Arztes habe nichts Gutes verheißen lassen, erzählt die heute 40-Jährige, die mit ihrer Familie im Landkreis Würzburg lebt. Sie müsse jetzt stark sein hieß es, und ihr wurde mitgeteilt, dass eines ihrer Kinder nicht überlebensfähig sein würde. „Es war unfassbar. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen“, beschreibt sie ihre Gefühle. Die Taschentücher hat sie auf dem Wohnzimmertisch bereitgelegt, „denn darüber zu sprechen, fällt schwer“.
Odyssee von Arzt zu Arzt
Am gleichen Tag noch suchte sie einen anderen Arzt auf. Er bestätigte die Diagnose. „Es war furchtbar, ich habe nur geweint“, erinnert sich Bettina P. Was folgte war eine Odyssee von Arzt zu Arzt, um herauszufinden, was nun zu tun sei – auch um das Leben des zweiten Babys nicht zu gefährden. „Mir war eigentlich klar, dass ich keine Abtreibung wollte, sondern meinen Nathanael bis zum Schluss austragen wollte.“ Als ein Experte aus Gießen versicherte, dass es bei beiden Varianten – Abbruch und Austragen – Risiken fürs Schwesterchen gebe, war die Entscheidung klar: „Ich behalte ihn bei mir. Nun liegt es nicht mehr in meiner Hand.“ Da habe ihr auch ihr religiöser Hintergrund geholfen. Und die Hoffnung blieb, „dass ich mein Kind lebend kennen lernen sollte. Zumal ich spürte, wie es sich bewegte“. Doch noch vor der Geburt in der 33. Woche stellten sich die Bewegungen ein. „Ich bin mir sicher, dass ich den Moment gemerkt habe.“
Wie nah Leben und Tod beisammen liegen, erlebten Bettina P. und ihr Mann besonders bei der Geburt am 21. März 2016. Ein Kaiserschnitt. „Erst kam der Schrei meiner Tochter, die von den Ärzten hinausgetragen wurde. Dann kam einfach Nichts. Das war Nathanael“, sagt sie. Der Name bedeutet „Geschenk Gottes.“ Den Eltern war klar, dass dieser Tag ihrem verstorbenen Jungen gehörte, „schließlich hatten wir nur diese Zeit um uns von ihm zu verabschieden“.
Sternenkinder werden die Babys genannt, die vor, während oder kurz nach der Geburt versterben. So bekam Nathanael von einer Freundin der Familie einen blauen, seine Schwester einen rosa Plüschstern geschenkt. „Der rosa Stern kam mit in Nathanaels Grab, der blaue steht bei uns im Wohnzimmer auf einem Regal und wird irgendwann seiner Schwester gehören.“
Abschied nehmen vom eigenen Kind
In eine Decke gewickelt duften die Eltern ihren Sohn im Arm halten und Abschied nehmen. „Ich bin froh, dass mir schon einige Wochen vor der Geburt in der Klinik ein Flyer in die Hand fiel, der mir die Möglichkeit aufzeigte, dass es ehrenamtliche Fotografen gibt, die Sternenkinder fotografieren“, erzählt Bettina P.. So lernte sie Sarah-Debora Schmidt schon vor der Entbindung kennen. „Wir waren uns sofort sympatisch“, beschreibt die Sternenmama die erste Begegnung mit der Fotografin. „Die Fotos zu haben ist für mich eine wunderschöne, wichtige Sache. Wenn mir danach ist, habe ich die Möglichkeit meinen Sohn zu sehen. Er ist Teil der Familie und gehört dazu“, sagt die 40-Jährige, die nach all dem Erlebten eine besonders positive Energie ausstrahlt.
Fotografin Sarah-Debora Schmidt fotografiert ehrenamtlich Sternenkinder. Foto: Daniel Peter
Über eine Alarm-App ist die Fotografin immer erreichbar. Schon wenige Stunden nach der Entbindung war Sarah-Debora Schmidt bei den Eltern Nathanaels vor Ort im Krankenhaus, fotografierte ganz einfühlsam und in Begleitung der Eltern, mal ein Füßchen, mal ein Händchen des Babys, das in eine Decke eingehüllt war. „Es ist mit Sicherheit einer der schwersten und intimsten Momente im Leben von werdenden Eltern, wenn ihr Kind still auf die Welt gebracht wird“, erklärt die 31-Jährige. Deshalb sei Behutsamkeit oberste Priorität. „Ich nehme mir ganz viel Zeit, um auf die Bedürfnisse der Eltern einzugehen, ihnen einen Abschied von ihrem Kind zu ermöglichen.“
Schon viele Male wurde Sarah-Deborah Schmidt, die in Estenfeld ein eigenes kleines Studiobetreibt, beispielsweise in die Würzburger Universitätsklinik gerufen.“Wenn es nur irgendwie geht, bin ich sofort zur Stelle.“ Vor einigen Jahren war Schmidt auf die deutschlandweite Organisation „Dein Sternenkind“ gestoßen, die Eltern nach Fehlgeburten und stillen Geburten fotografisch begleitet. Die eigene Erfahrung mit einem seelisch schmerzhaften Schwangerschaftsabbruch als sehr junge Frau hatte sie auf die Idee gebracht, sich in diesem Bereich zu engagieren.
Immer noch ein Tabuthema
Seit etwa drei Jahren arbeitet die 31-Jährige nun ehrenamtlich für das Netzwerk und fotografiert Sternenkinder. Leider seien Fotografien der verstorbenen Babys immer noch für viele Menschen ein Tabuthema.“Dabei ist es sehr wichtig, dass die Eltern eine Erinnerung an ihr Kind mit nachhause nehmen können. Erinnerungen und Details können verblassen, aber die Fotografien kann man immer zur Hand nehmen“, sagt Schmidt. Auch für die Bewältigung der Trauer sei es wichtig, greifbare Erinnerungen zu haben. Und: „Viele schauen die Fotos lange Zeit nicht an und holen sie erst Jahre später hervor. Das ist ganz individuell.“
„Es ist wichtig, dass Eltern eine greifbare Erinnerung an ihr verstorbenes Kind haben.“
Sternenkinder-Fotografin Sarah-Debora Schmidt.
Bettina P. nickt:“Ich bin dankbar die Fotos zu haben.“ Hübsch eingepackt liegen sie vor ihr auf dem Tisch, der Blick darauf fällt schwer. Neben einem Handabdruck auf Papier, der von Nathanael in der Klinik gemacht wurde, sei das alles, was bleibt. Für sie sei es wichtig neben der Erinnerung im Kopf etwas Greifbares zu haben. Auch das Grab, in dem der Kleine auf einem Friedhof im Landkreis begraben liegt, ist für sie ein Denkmal. Und sie möchte Erinnerungen für seine zweijährige Schwester aufbewahren, „man sagt ja gerade bei Zwillingen, dass sie besonders miteinander verbunden sind“.
Würdevoll mit dem Tod umgehen
Natürlich ist Schmidt wichtig, dass die Fotos für die verwaisten Eltern schön und ästhetisch aussehen, „aber ich habe immer in Erinnerung, dass es sich bei dem Mädchen oder dem Jungen um ein verstorbenes Wesen handelt“. Da gehe es auch um die Achtung vor dem Tod und ein würdevolles Umgehen damit. Bisher habe sie in den Kliniken positive Erfahrungen gemacht:“Dort werden die verstorbenen Babys schön angezogen, in Kleidern, die extra von ehrenamtlichen Näherinnen angefertigt werden, und schön in ihr Bettchen gelegt.“
Schmidt versucht sich in jede Situation neu einzufühlen, oft seien die Frauen emotionaler und weinen, während die Männer gefasst bleiben. Um die Situation aufzulockern rede man auch manchmal über das Aussehen des Babys, „dass es zum Beispiel Papas Stupsnase hat oder der Mama ähnlich sieht“. Wenn Schmidt fertig geknipst hat, zieht sie sich vorsichtig zurück. Spurlos geht ein solcher Termin nicht an der 31-Jährigen vorüber. „Es beschäftigt mich schon. Aber auch wir haben Leute über die Organisation Dein Sternenkind, die uns im Zweifel psychologisch beistehen.“ Schön sei es natürlich, wenn man von den Familien hört, wie wichtig es für sie sei, die Fotos zu haben. „Das gibt die Kraft weiterzumachen“, so Schmidt, die schon im Rettungsdienst gearbeitet und sich ehrenamtlich für die Organisation“ Wildwasser Würzburg“ eingesetzt hat.
Keine negative Reaktion
Die Eltern von Nathanael haben im Familien- und Freundeskreis viele positive Reaktionen auf die Fotografien bekommen.“Es wäre mir aber auch egal gewesen. Es ist eine ganz persönliche Entscheidung, die jeder für sich treffen muss“, sagt Bettina P. Oft hat sie gehört, dass sie bei all der Trauer das Glück hatte, mit einem gesunden Kind nachhause zu kehren. „Ich verstehe den Gedanken und natürlich habe ich meine Tochter, aber Glück und Tod lassen sich nur schwer gegeneinander aufwiegen.“
„Glück und Tod lassen sich nicht gegeneinander aufwiegen.
Sternenmama von Nathanael
Sie frage sich oft, wie ihr Sohn heute aussehen würde und „was er mit drei Jahren für ein kleiner Mann wäre“. Was die Trauerbewältigung angeht, ist die 40-Jährige dankbar für ihre Familie und Freunde, die „mich und uns aufgefangen haben und immer da waren“. Auch in der Klinik habe sie sich gut aufgehoben gefühlt, gerade die Krankenhausseelsorgerin habe ihr in diesen leidvollen Momenten beigestanden.
Der Geburtstag ihrer Tochter wird auch immer der Todestag Nathanaels sein. Zwei Kerzen stehen dann auf der Torte: eine in Blau und eine in Rosa. „Gemeinsam gehen wir auf den Friedhof, und meine Tochter stellt eine bunte Fackel auf das Grab.“ Nachmittags ist es ihr Tag und es wird gefeiert. „Den Abend halten wir uns frei, um Nathanael zu gedenken.“